Remigriert euch ins Knie! 💩

Hamburger Kammerkunstverein

Veranstaltungen mit Herz und Hirn.

324. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg

Johannes Brahms, Sonate für Violine und Klavier op. 78 G-Dur


Der Eintritt ist frei.


Börsensaal der Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus


Tagesprogramm als PDF


Johannes Brahms,
Violinsonate Nr. 1 G-Dur op. 78

Vivace ma non troppo
Adagio
Allegro molto moderato


1. Walle, Regen, walle nieder,
Wecke mir die Träume wieder,
Die ich in der Kindheit träumte,
Wenn das Naß im Sande schäumte!

2. Wenn die matte Sommerschwüle
Lässig stritt mit frischer Kühle,
Und die blanken Blätter tauten,
Und die Saaten dunkler blauten.

3. Welche Wonne, in dem Fließen
Dann zu stehn mit nackten Füßen,
An dem Grase hin zu streifen
Und den Schaum mit Händen greifen.

4. Oder mit den heißen Wangen
Kalte Tropfen aufzufangen,
Und den neuerwachten Düften
Seine Kinderbrust zu lüften!

5. Wie die Kelche, die da troffen,
Stand die Seele atmend offen,
Wie die Blumen, düftertrunken,
In dem Himmelstau versunken.

6. Schauernd kühlte jeder Tropfen
Tief bis an des Herzens Klopfen,
Und der Schöpfung heilig Weben
Drang bis ins verborgne Leben.

7. Walle, Regen, walle nieder,
Wecke meine alten Lieder,
Die wir in der Türe sangen,
Wenn die Tropfen draußen klangen!

8. Möchte ihnen wieder lauschen,
Ihrem süßen, feuchten Rauschen,
Meine Seele sanft betauen
Mit dem frommen Kindergrauen.

Klaus Groth

Johannes Brahms sprach gelegentlich über Beethoven, in dessen Fußstapfen er getreten war, als über den „Riesen“, der hinter ihm hermarschiere. Brahms kannte alle erhältlichen Partituren von Beethovens Werken. Darüber hinaus sammelte er Noten weiterer wichtiger Komponisten, um sie bei der Arbeit um sich versammelt zu haben und studieren zu können. Ihm war natürlich nicht entgangen, dass der „Riese“ die Violine gegenüber dem Klavier in der Klaviersonate emanzipiert hatte. Seine letzten „Sonaten für Klavier mit Begleitung einer Violine“ hatte Beethoven längst vollendet, als sich Brahms im Alter von 45 Jahren an seine erste Violinsonate setzte. Bei Brahms findet sich eine vollkommene Gleichberechtigung der Instrumente, eine symphonische Vision-à-deux.

Die G-Dur Sonate op. 78 entstand zwischen 1878 und 1979 und ist die erste von drei Sonaten für Violine und Klavier, die uns Brahms hinterließ. In der selben Zeit entstand auch das Violinkonzert, was darauf hinweist, dass sich Brahms in diesen Jahren eingehend mit der Violine beschäftigte. Niemand weiß, wie viele weitere Sonaten für Violine und Klavier Brahms schreib und vernichtete. Er war gnadenlos in der Beurteilung seines eigenen Schaffens.

Der Sonate ist ein Lied zu Grunde gelegt, das „Regenlied op. 59“, dessen Text von Klaus Groth stammt. Dieses Lied hatte Brahms im Jahr 1872 für Clara Schumann geschrieben, in einem Jahr, das vermutlich eines der schwierigsten in ihrem Leben war. Bei ihrem Sohn Felix, der zugleich Brahms‘ Patensohn war, wurde Tuberkulose diagnostiziert, an der er kurz darauf starb, ihr älterer Sohn Ludwig musste mit Schizophrenie in die Psychiatrie eingeliefert werden und dann starb auch noch die Tochter Julie.

Johannes Brahms legte der Abschrift des neuen Werkes, die er an Clara Schumann schickte, den Vermerk bei, dass es ihm eine große Freude wäre, wenn er mit der Sonate Claras gerade verstorbenem Sohn, seinem Patenkind Felix Schumann, ein „kleines Andenken“ schaffen könne. Brahms hatte ein sehr inniges Verhältnis zu seinem Patensohn gehabt. Die Sonate ist nicht das einzige Andenken an Felix aus der Hand seines Patenonkels. Am Heiligen Abend von Todesjahres Felix Schumanns hatte Brahms bereits ein Gedicht von Felix vertont: „Meine Liebe ist grün“, das heute eines der bekanntesten Lieder von Johannes Brahms ist.

Das Regenlied op. 59 beginnt im Original mit einem einem punktierten, fast signalhaften Motiv. Dieses Motiv wird im ersten Geigeneinsatz der Sonate op. 78 durch eine wunderbare rhythmische Entzerrung zu einem höchst poetischen Melodiefragment und zum Hauptthema des ersten Stazes umgedeutet. Ähnlich dichte, thematische Verwebungen ziehen sich durch die beiden ersten Sätze. Im dritten und letzten Satz entlädt sich die aufgestaute Poesie, wenn dann das bis dahin stets nur angedeutete Lied tatsächlich wörtlich erklingt. Als Clara die Sonate sieben Jahre nach der Entstehung des Regenliedes op. 59 spielte, schrieb sie an Brahms: „Ich musste mich ordentlich ausweinen vor Freude, als ich meine so schwärmerische Melodie im dritten Satz wiederfand. Ich sage 'meine', weil ich nicht glaube, dass ein Mensch diese Melodie so wonnig ind wehmutsvoll empfindet wie ich.“

Franck-Thomas Link


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