286. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg
Frédéric Chopin, Études
Nicholas Ashton, gern gesehener Gast beim Kammerkunstverein, spielt eine eigene Auswahl aus Chopins Etüden, die einen spektakulären Einblick in diesen Gipfel des pianistischen Repertoires zeigen.
-
Nicholas Ashton, Klavier
Der Eintritt ist frei.
Handelskammer Hamburg, Börsensaal, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus
Frédéric Chopin,
12 Etüden aus Op. 10, Op. 25 und Opus posthumus
Opus posthumus
Nr. 2 As-Dur
Opus 10 Nr. 3 E-Dur, Nr. 4 cis-moll, Nr. 6 es-moll, Nr. 5 Ges-Dur
Opus 25 Nr. 1 As-Dur, Nr. 2 f-moll, Nr. 3 F-Dur, Nr. 5 E-Dur, Nr. 9 Ges-Dur, Nr. 7 cis-moll
Opus 10 Nr. 8 F-Dur
Der erste Band der Chopin-Etüden, Opus 10, wurde zwischen 1929 und 1832 komponiert, der zweite Band, Opus 25, in den Jahren 1833-1836. Die drei nachgelassenen Etuden („Trois Nouvelles Etudes“) wurden erst nach Chopins Tod veröffentlicht. Sie sind dem Pianisten und Komponisten Ignaz Moscheles gewidmet.
Obwohl beide Etüdensammlungen ursprünglich in zwei Bänden (op. 10 und op. 25) herausgegeben wurden, hat Chopin die Etüden als Einzelwerke komponiert, das bedeutet, dass zwischen den einzelnen Etüden keine thematische, tonale oder strukturelle Verbindung beabsichtigt ist. Von daher besteht nicht die Notwendigkeit, die Etüden zyklisch aufzuführen; es steht dem Spieler frei, sie einzeln aufzuführen oder in einer eigenen Sammlung in loser Folge, so wie ich es hier gemacht habe. In dieser Sammlung wollte ich einerseits die Anzahl von 12 Etüden wie in der Anordnung der ursprünglichen Bände op.10 und op. 25 erhalten, Abwechslung in Ausdruck und Tempo erzeugen und hatte insbesondere eine angenehme Tonartenfolge im Blick.
Die Chopin-Etüden werden allgemein als die ergiebigste Studie der Klaviertechnik im gesamten Repertoire betrachtet werden (Liszt, Debussy und Ligeti stehen vielleicht auch in dieser Reihe.) Chopin komponierte diese Werke zum Teil aus dem aufrichtigen Bedürfnis heraus, die Möglichkeiten der neuen, viel kräftigeren und klangvolleren Instrumente, die in dieser Zeit von Firmen wie Pleyel, Erard und Broadwood gebaut wurden, auszuloten; zum Teil sind die Etüden auch Chopins Kommentar über sein eigenes Verständnis der Hand eines Pianisten, und er wollte die technischen Möglichkeiten radikal erweitern - und etablieren, was bis dato für unmöglich gehalten worden war; zum Teil hat Chopin mit seinen Etüden sich selbst mit Stücken versorgt, die eine begeisterte Aufnahme beim Publikum der Gesellschaft und auch in der Fachwelt garantieren und so seine Karriere als Bühnenkünstler konsolidieren würden.
Abgesehen davon zeigt jede einzelne Etüde ein derart außergewöhnliches Gespür für harmonische und gelegentlich auch strukturelle Logik, dass der Boden für die harmonische Entwicklung, die in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts u.a. bei Liszt und Wagner sattfinden sollte, hier bereits geschaffen war. Möglicherweise liegt es daran, dass sich Chopin fast ausschließlich auf Soloklavier beschränkt hat und meistens in kleinen Formen komponierte, dass Chopins Einfluss in diesem größeren Zusammenhang oft übersehen wird. Einige der Innovationen, die man im „Lohegrin“ oder sogar im „Parzival“ sehen kann, existieren in knospenhafter Form in Chopins besten Werken. In diesem Zusammenhang lohnt es sich zu erwähnen, dass Chopin gegen Ende seiner tragischerweise so kurzen Karriere dem Wunsch Ausdruck verlieh, an einer Oper zu arbeiten. Darüber, ob er darin erfolgreich gewesen wäre, kann man natürlich heute nur noch spekulieren.
Allerdings ist in jedem Fall deutlich, dass er im eigegrenten Raum dieser musikalischen Struktur hier in den Etüden sehr oft in der Lage ist, monumentale Aspekte heraufzubeschwören. Ungeheuer sicheres Gespür für Harmonik verbindet sich mit der majestätischen Würde eines Bach (den Chopin studierte und sehr bewunderte) und auch mit Vorstellungskraft für einen architektonischen Raum wie man ihn - so erstaunlich es ist - bei Wagner findet: Das verhaltene Rezitativ aus op. 25 Nr. 7 kann man als eine Art Mikrokosmos der Idee „Leitmotiv“ verstehen. Chopins melodische Genialität kommt besonders gut in den Etüden op. 10 Nr. 3 und 6, op. 25 Nr. 1, 2 und 5 zur Geltung.
Jeder ernsthafte Pianist wird unvermeidlich von den Etüden angezogen, prinzipiell als technische Herausforderung. Allerdings sind diese Werke auch Kunstwerke, die der große Pianist Alfred Cortot so denkwürdig beschrieb: „Diese Etüden sind ebenso für einen Musiker ohne Virtuosität unerreichbar wie für einen Pianisten ohne Musikalität.“
Nicholas Ashton
Mehr zur Reihe Lunchkonzerte in der Handelskammer Hamburg.
kammerkunst.de/785/