285. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg
Beethoven, Violin-Sonate Nr. 7 op. 30 Nr. 2 c-moll
-
Benjamin Spillner, Violine
-
Franck-Thomas Link, Klavier
Der Eintritt ist frei.
Handelskammer Hamburg, Börsensaal, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus
Ludwig van Beethoven,
Violinsonate Nr. 7 op. 30 Nr. 2 c-moll (1803)
Allegro con brio
Adagio cantabile
Scherzo. Allegro - Trio
Finale. Allegro
Virtuos und dramatisch – Beethovens op. 30 Nr. 2 ist eine Violinsonate, die für den großen Konzertsaal dimensioniert ist. Mit technischen Herausforderungen gespickt und voll dramatischen Ausdrucks ist sie ein Fest für ihre Interpreten. Sie entstand in einer Zeit, in der Beethoven vom Studenten zum eigenständigen Komponisten herangereift war, in der jedoch seine Schwerhörigkeit mit Macht einsetzte.
Beethovens drei Violinsonaten op. 30 stellen den Aufbruch zur Weiterentwicklung der Gattung Violinsonate dar, einerseits im Sinne von Emanzipation der Violine gegenüber dem Klavier, andererseits auch im Sinne von neuen Dimensionen in Form, Umfang, Spieltechniken und Verwebung der beiden Instrumente. Beethoven hat den wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die Violinsonate von der „Sonate Pour Pianoforte avec l'accompagnement d'un violon“ (Sonate für Pianoforte mit der Begleitung einer Violine), wie sie schon bei Mozart und Haydn bezeichnet wurde, zur großen Duo-Sonate zu entwickeln. Die Sonaten op. 30 sind bei Beethoven die letzten Sonaten, die so bezeichnet wurden. Schon die beiden nachfolgenden Sonaten bezeichnete Beethoven mit dem Zusatz „Violino obligato“ (op. 47) bzw. „Für Pianoforte und Violin“ (op. 96).
In seinen ersten fünf Violinsonaten hatte sich Beethoven tiefgehend mit den bereits vorhandenen Kompositions- und Spieltechniken auseinander gesetzt, op. 30 könnte man als die Experimentierwerkstatt des Meisters ansehen. Die drei Sonaten sind von einander extrem verschieden, jede von ihnen birgt einen eigenen zukunftsweisenden Aspekt in sich: Während man sich in der ersten Sonate (A-Dur) fast schon in der Welt von Franz Schubert wähnen könnte, setzt Beethoven mit der zweiten Sonate (c-moll) neue Maßstäbe in Umfang und technischem Aufwand. Die dritte Sonate (G-Dur) gibt in ihrer unbeschwerten Virtuosität bereits einen Ausblick auf einen Ausdruck von romantischer Leichtigkeit in Verbindung mit einer Brillanz, die man später etwa bei Mendelssohn wiederfinden wird. In den meisten Werkanalysen findet man einen Verweis auf eine Gemeinsamkeit, die die drei verschiedenartigen Schwestersonaten mit einander verbindet: Die Hauptthemen aller Kopfsätze der Sonaten haben als Grundelement eine rollende Sechzehntelfiguration. Ob Beethoven das bewusst so angelegt hat oder nicht, ist nicht zu belegen, aber die Tatsache an sich könnte man als weiteren Hinweis auf Beethovens Absicht verstehen, mit der Gattung Violinsonate zu experimentieren.
Die c-moll Sonate op. 30 Nr. 2 ist neben der Kreutzer-Sonate op. 47 die umfangreichste Sonate Beethovens und stellt extreme technische Anforderungen an die Spieler. Dieser Aspekt gibt bei Beethoven auch Aufschluss über das Gewicht eines Werkes. Anders als bei manchen rein virtuosen Komponisten, wie beispielsweise Paganini, kann man bei Beethoven über eine transzendentale Kraft der technischen Schwierigkeit sprechen. Virtuosität ist bei Beethoven nicht Selbstzweck sondern Ausdrucksmittel.
Eine Sonate wie die c-moll Sonate wurde mit „Grande Sonate“ oder bei Schubert später auch mit „Grand Duo“ bezeichnet. Im allgemeinen spielte sich die meiste Kammermusik in den Salons der Wiener Gesellschaft ab und war meistens genau für dieses Format komponiert. Die c-moll Sonate allerdings ist durch ihre quasi orchestrale Wucht und den leidenschaftlichen und dramatischen Ton eigentlich in einem Salon fast unvorstellbar. Sie ist eine Grande Sonate für den Konzertsaal.
Wenn Beethoven in c-moll schreibt, geht es in der Regel um schicksalshaften, dramatisch düsteren Ausdruck. Die Sonate steht in diesem Zusammenhang in einer Reihe mit der Schicksalssymphonie op. 67, der Klaviersonate „Pathétique“ op. 13 und dem 3. Klavierkonzert op. 37, um nur einige zu nennen.
Am Anfang des ersten Satzes (Allegro con brio) stellt das Klavier das achttaktige Hauptthema vor. Es beginnt mit einer scheinbar flüchtigen Floskel (Rollmotiv!), die sich nach einer spannungsreichen Pause auf der Subdominante wiederholt. Auch die Pause wird wiederholt, was die Spannung noch weiter steigert. Die zweite Hälfte des Themas besteht aus einer abfallenden Linie, die uns von der Dominante, zunächst diatonisch, dann chromatisch wieder zurück zur Tonika führt, um dort wiederum als Halbschluss zu enden. Die Violine setzt im 9. Takt mit der Wiederholung des Themas ein. Diesesmal allerdings werden die spannungsreichen Pausen mit düsteren Basstrillern im Klavier ausgefüllt, was dem ohnehin schon mysteriösen Thema eine zusätzliche Bedrohlichkeit verleiht. Dieser Basstriller wird später als Teil des Hauptthemas im Finale wieder aufgegriffen. Das zweite Thema wird von orchestral wirkenden Akkordschlägen angekündigt. Diese Akkordschläge werden im Finale zum zweiten Element des Hauptthemas. Das zweite Thema zeigt eine neue Verwebungstechnik der beiden Instrumente, die deutlich zukunftsweisend ist: Eine scheinbar fröhliche Marschmelodie im freundlichen Es-Dur wird kontrapunktisch von insistierenden Achtellinien im staccato so durchzogen, dass sich der eigentlich fröhliche Charakter des Themas fast schon zu einem manischen Ausdruck verändert. Die Musik scheint nach vorne zu preschen: Beethoven lässt die Exposition nicht wiederholen, so entsteht der Eindruck, er habe keine Zeit zu verlieren, um in der dramatischen Durchführung des Satzes anzukommen. Wie das zweite Thema wird auch die Durchführung mit den orchestralen Akkordschlägen angekündigt. In der Durchführung werden beide Themen verarbeitet und auf das Äußerste dramatisiert. Auffällig ist, dass Beethoven die Harmonik dahingehend ausweitet, dass das erste Thema in Es-Dur beginnend sich nach h-moll entwickelt, also einen halben Ton unter der Grundtonart c-moll und das zweite Thema, hier in As-Dur beginnend, in Des-Dur landet, also einen Halbton über der Grundtonart. Diese spannungsgeladene Chromatik unterstützt die dramatische Schärfe der Durchführung. Mit Oktavsynkopen in der Violine und polternden Sechzehntelfiguren, die ihrerseits an den Basstriller am Anfang des Satzes erinnern, stürzt Beethoven in die Reprise. Es wirkt wie ein dynamischer Überhang, so als könne man die Kraft und Lautstärke der Durchführung kaum bändigen, dass der Anfang des Hauptthemas hier in der Reprise von beiden Spielern gleichzeitig im Fortissimo erscheint, und wie eine Korrektur, dass erst in der zweiten Hälfte des Themas zum ursprünglichen Piano zurückgekehrt wird. Bevor Beethoven das Thema, analog zum Anfang des Satzes, wiederholt, schiebt er ein retadieendes viertaktiges Zwischenspiel von leisen Akkorden ein (As-Dur und Des-Dur), die harmonisch mit der Durchführung des zweiten Themas verwand sind. Diese vier Takte sind also einerseits ein Resultat der Durchführung und haben, andererseits die Aufgabe, die Aufgeregtheit der Durchführung wieder einzufangen. Die Coda greift beide Themen noch einmal variirend auf und könnte deshalb als zweite Durchführung verstanden werden.
Der zweite Satz (Adagio cantabile) ist als dreiteilige Liedform plus Codo konzipiert. Er steht in As-Dur. Die erhabene Melancholie des Satzes erinnert nicht nur wegen des identischen Tonartenwechsels (von c-moll nach As-Dur) an die „Schicksalssymphonie“ und die „Pathétique“. Nach etwa 30 Takten löst sich die elegische Ruhe zugunsten dramatisierender fließender Bewegung auf, zunächst in Sechzehntel Arpeggien und später in Zweiunddreißigstel-Passagen. Den vorletzten Klavierakkord bezeichnet Beethoven mit einem Crecendo! Das ist technisch auf keinem Klavier der Welt möglich. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, warum Beethoven das schreibt, auch wenn man diese Frage nicht beantworten kann.
Im dritten Satz (Scherzo mit Trio) erinnert das Hauptthema mit seinen Punktierungen noch einmal an das punktierte 2. Thema des Kopfsatzes. Das Trio kann man als Durchführung verstehen: Beethoven variiert das Scherzo dahingehend, dass er den punktierten Rhythmus glättet und den Satz in fließenden Achtel- und Triolenlinien anlegt.
Das Finale kann man sowohl als Sonatenhauptsatzform, als auch als Rondo verstehen. Inhaltlich nimmt es den dramatisch virtuosen Duktus des ersten Satzes wieder auf. Wie eingangs erwähnt, setzt sich das Hauptthema aus zwei signifikanten Elementen aus dem ersten Satz zusammen: Der Basstriller aus der Wiederholung des Hauptthemas und die formverbindenden Orchesterschläge. Das Seitenthema des Finales schließt sich dem ersten Thema unmittelbar an, sodass tatsächlich der Eindruck einer Sonatenexposition entsteht. Beide Themen sind die wesentlichen Bestandteile dieses spektakulären, dramatischen Schlusssatzes. Da das Hauptthema allerdings bis zur Coda immer wieder völlig unverändert auftaucht und auch die Grundtonart nicht verlässt, ist eine rondoartige Wirkung nicht zu leugnen. Solche Hybridformen gibt es in Beethovens Finalsätzen relativ häufig. Eine Variation erfährt das Hauptthema erst in der Coda (Presto) in den letzten 47 Takten. Aus dem Trillermotiv des Themas entwickelt Beethoven die kaskadenartigen Passagen aus Tonleitern und gebrochenen Akkorden, die diese zu ihrer Entstehungszeit größte Violinsonate der Welt dramatisch, aber glanzvoll beenden.
Franck-Thomas Link
Mehr zur Reihe Lunchkonzerte in der Handelskammer Hamburg.
kammerkunst.de/784/