249. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg
Berio, Barkauskas, Bach und Bartók
Rezitals für eine und zwei Violinen
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Juditha Haeberlin, Violine
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Corinna Guthmann, Berlin, Violine
Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus
Luciano Berio,
aus "Duetti per due violinei"
Massimo
Piero
Pippino
Camilla
Yossi
Bruno
Aldo
Vytautas Barkauskas,
Partita für Violine solo
Präludium
Scherzo
Grave
Toccata
Epilog
Johann Sebastian Bach,
Partita Nr.2 d-moll für Violine solo
Allemande
Sarabanda
Béla Bartók,
aus den Duos für zwei Violinen
Gram
Tanzlied
Vorspiel und Kanon
Rumänischer Drehtanz
Luciano Berio (1925-2003) war einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er war u. a. Schüler von Luigi Dallapiccola, an der Tranglewood University (USA), wo er später wieder als Ehrenprofessor wieder tätig war. Sein Haupteinfluss auf das Geschehen in der zeitgenössischen Musik lag im Bereich der seriellen und elektronischen Musik. Berio war zu Hause in allen weltweit wichtigsten Zentren der Neuen Musik, neben vielen anderen Positionen war er Direktor der Abteilung für Elektroakkustik am Internationalen Zentrum für Neue Musik ICRAM in Paris, Gründer des Centro Tempo Reale in Florenz, Composer in Residence an der Harvard University und bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, wo er eng mit Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, György Ligeti und Mauricio Kagel verbunden war. Diesen Komponisten, den man mit Fug und Recht als mächtiges Urgestein einer ganzen Musikepoche bezeichnen kann, und von dem in der Regel die großen höchstkomplizierten Werke zur Aufführung kommen, lassen heute Juditha Haeberlin und Corinna Guthmann mit Miniaturen zu Wort kommen, die von ihrer Feinheit in der Kürze leben und mit einer scheinbaren Einfachheit den Zuhörer in ihren Bann ziehen.
Neben dem Esten Arvo Pärt und dem Letten Peteris Vasks ist der Litauer Vytautas Barkauskas, 1931 in Kaunas geboren, einer der meistaufgeführten Komponisten des Baltikums. Seine musikalische Grundausbildung erhielt er im Elternhaus. Nach Kriegsende absolvierte er in Vilnius zunächst ein Doppelstudium: Mathematik und Klavier. 1953 trat er in die Kompositionsklasse von Anatas Rac iu nas am Staatlichen Konservatorium ein. Nach Studienabschluss wirkte er zunächst alsLehrer an der Ciurlionis-Kunstschule. Seit 1961 unterrichtete er Musiktheorie an der Musikakademie Litauens. 1989 wurde er zum Professor am „Lehrstuhl für Komposition“ ernannt. "Ich will, dass meine Musik ausdrucksvoll, emotional und konzertmäßig klingt" hat er einmal gesagt. In der Partita für Violine solo ist ihm dies wunderbar gelungen. Nachdenklich düstere Motive werden im steten Wechsel mit unbändiger, virtuoser Musizierlust kontrastiert.
Aus der Partita Nr. 2 in d-moll für Solovioline von Johann Sebastian Bach erklang im letzten Lunchkonzert bereits der letzte Satz "Chaconne", einem der wichtigsten Werke in der Literatur für Violine und eine Art Credo für fast jeden konzertierenden Geiger. Allerdings wurde diese Chaconne im letzten Konzert nicht auf der Violine vorgetragen, sondern in einer romantischen Bearbeitung für Klavier solo von Feruccio Busoni. In einem weiter zurückligenden Lunchkonzert wurde auch einmal die Bearbeitung für Klavier für linke Hand von Johannes Brahms gespielt. Allerdings war die erste Interpretation der Chaconne aus der d-moll Partita in unseren Lunchkonzerten natürlich das Original für Violine solo und zwar in der Interpretation von Juditha Haeberlin in einem der ersten Lunchkonzerte. Dass diese Chaconne im Kammerkunstverein so eine wichtige Rolle spielt, dass sie von allen möglichen Seiten beleuchtet wird, ist sehr schön, aber es wird auch Zeit, dass wir auch andere Sätze aus diese herrlichen Partita vorstellen...
Warum 'Bach' in einem Programm mit Klassikern des 20. Jahrhunderts? Die Neue Musik ist sehr vielfältig beeinflusst. d. h. dass aufgrund der Tatsache, dass Komponisten heutezutage (ähnlich wie z. B. Theaterschaffende oder Schriftsteller) sich nur durchsetzen können, wenn sie eine neue, ihnen völlig eigene Grammatik erfinden. Eine solche Erfindung entsteht durch die Kenntnis und Abstraktion möglichst vieler verschiedener Musikstile.
Zwar kann ein Komponist nicht alle Stile der Musik kennen, aber eines ist sicher: fast alle aktuellen Komponisten sind mit dem Schaffen des Altmeisters Johann Sebastian Bachs vertraut. Er ist nicht wegzudenken aus der Neuen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Darum soll Bach in diesem Programm einen angemessenen Platz bekommen. Im Gegensatz zu den erfolgreichsten Komponisten des 20. Jahrhinderts war Bach nicht damit beschäftigt eine neue Grammatik für die Musik zu erfinden. Er war eher ein Vollender dessen, was musikalisch in seiner Zeit vorhanden war.
Vielleicht noch ausgeprägter als bei Luciano Berio ist die Vorreiterrolle in der Musik des 20. Jahrhunderts von Béla Batók. Er hatte früh die Zeichen der zeit erkannt, für eine neue Musik musste eine neue Grammatik her. Und statt eine synthetische Erfindung auszudenken, forschte Bartók an seinen eigenen Wurzeln. Er unternahm ausgedehnte Reisen durch Ungarn, Rumänien, die Slaowakei, Transslivanien und den vorderen Orient, um Volksmelodien kennenzulernen, die er zum Teil sogar schon auf primitiven Aufnahmegeräten zum späteren Studium konservieren konnte, die er aber auch zum großen Teil notierte. Durch das systhematische Sammeln von Volksmelodien hat Bartók in einer Zeit längst vor Berio, Stockhausen, Ligeti etc. seine eigene Grammatik gefunden, die (ähnlich wie Schönberg in der Wiener Schule oder Prokovieff in der Russischen Schule) noch heute in das Schaffen einiger zeitgenössischer Komponisten hineinstrahlt. Auch dieses Schwergewicht des 20. Jahrhunderts lässt das Duo des heutigen Konzertes, gewissermaßen als Klammer mit Berio mit Miniaturen aus dem Violin-Duo-Repertoire zu Wort kommen. Von den Duos gibt es über 40 Stück. Jedes einzelne geht zurück auf eine uralte Bauernmelodie, die Bartók im Laufe seiner aufwändigen Recherche hier wieder zitiert, in seiner eigenen musikalischen Gefühlswelt.
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