Versöhnung
Feierabendkonzert im Oberhafen
Brahms vs. Wagner! In diesem Programm mit Liedern der beiden Zeitgenossen hallt ein Streit zweier gegensätzlicher musikalischer Strömungen nach.
Die Anhänger der „Neudeutschen“ um Richard Wagner, Liszt und Strauss bekämpften die „Konservativen“ um Johannes Brahms, Schumann und Mendelssohn erbittert. Den einen ging es um die Findung einer neuen, den anderen um den Erhalt einer höchst elaborierten alten Sprache. Die Neudeutschen bezeichneten Brahms als den „hölzernen Johannes“, während Brahms die schier formlose Kunst der aufkommenden Symphonischen Dichtung „dieses Zeug“ nannte.
Unser Konzert mit den Wesendonck-Liedern von Richard Wagner und Liedern von Johannes Brahms kann den alten Streit sicher nicht schlichten, aber daran erinnern, dass fließende Flüsse einander niemals stören.
Bar und Abendkasse 17 h, Konzert 18 h, Lounge 19 h
Mehr zur Reihe: Feierabendkonzert im Oberhafen
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Jale Papila, Alt
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Franck-Thomas Link, Klavier
Vorverkauf 10 € / Abendkasse 15 € / Kammerkunstmitglieder frei
Halle 424, Stockmeyerstraße 43, Tor 24, 20457 Hamburg
Richard Wagner,
Wesendonck-Lieder
Der Engel
Stehe still
Im Treibhaus
Schmerzen
Träume
Johannes Brahms,
6 Lieder
Alte Liebe (Text: Karl August Candidus) op. 72 Nr. 1
Die Mainacht (Text: Ludwig Hölty) op. 43 Nr. 2
Ach, wende diesen Blick (Text: Georg Friedrich Daumer) op. 57 Nr. 4
Nicht mehr zu dir zu gehen (Text: Georg Friedrich Daumer) op. 32 Nr. 2
An eine Äolsharfe (Text: Eduard Mörike) op. 19 Nr. 5
Meine Liebe ist grün (Text: Felix Schumann) op. 63 Nr. 5
Wie bist Du meine Königin (Text: Georg Friedrich Daumer) op. 32 Nr. 9
Um die Bedeutung von Richard Wagners „Wesendonck-Liedern“ einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf Wagners Leben in den Entstehungsjahren dieser Lieder, 1857 und 1858. Nach einem Konzert in Zürich im Jahre 1852 – Wagner dirigierte Beethoven – lernte Wagner das Ehepaar Mathilde und Otto Wesendonck kennen. Otto Wesendonck war ein äußerst erfolgreicher Kaufmann in der Seidenbranche. Mit seiner Frau Mathilde lebte er in Zürich in dem Haus, das heute das Museum „Villa Wesendonck“ beherbergt. Im Garten dieser Villa gab es ein Gartenhaus, das sogenannte „Asyl“, in dem die Wesendoncks Künstlern die Gelegenheit gaben, an Ihrer Kunst zu arbeiten. Man stelle sich das wie den Prototypen von Stipendien und Sponsoring vor. So zog auch Richard Wagner mit seiner Frau Minna im Asyl ein. Zwischen Richard Wagner und Mathilde Wesendonck entstand eine tiefe künstlerische und emotionale Anziehung: Wagner stand auf einmal einer Frau gegenüber, die ihm künstlerisch, philosophisch und literarisch auf Augenhöhe begegnete. Das hatte Wagner immer sehr in seiner Ehe mit Minna vermisst. Diese Ehe kam durch den Aufenthalt in Zürich auch zu ihrem letztlichen Ende, das sich allerdings schon in den Jahren zuvor abgezeichnet hatte. Es entstand aber auch auf Wagners Seite keine wirklich offizielle Liebesbeziehung zu Mathilde. Das wäre gesellschaftlich nicht möglich gewesen. Aber unterhalb der gesellschaftlichen Ebene gab es für die beiden Liebenden noch einen zweiten Boden. Ähnlich wie in der zwischen Tristan und Isolde in Wagners gleichnamiger Oper. Die Liebe von Tristan und Isolde wohnt in der Nacht. Wagner und Wesendonck haben ihrer Liebe in der leidenschaftlichen Liebe zur Kunst untergebracht. Während des Aufenthaltes im Asyl der Villa-Wesendonck schrieb Wagner an seiner Oper „Tristan und Isolde“. Die Lieder „Im Treibhaus“ und „Träume“ waren, wie Wagner erklärte, Studien zur Oper „Tristan und Isolde“. Sicher ist es als Liebeszeugnis zu verstehen, dass er Mathilde am 18. September 1857, das bedeutet während der gemeinsamen Arbeit an den Wesendonck-Liedern, die Urschrift des ersten Aktes von „Tristan und Isolde“ als Geschenk überreichte. Auch die Tatsache, dass Wagner, der die Libretti aller seiner Opern selbst dichtete, fünf Gedichte seiner „Muse“ Mathilde Wesendonck vertonte, stellt ein Zeichen für die besondere Freundschaft zwischen Mathilde Wesendonk und Richard Wagner dar. Wagner komponierte die Lieder für Frauenstimme und Klavier. Die Instrumentierungen für Orchester sind später und zum Teil auch durch andere Komponisten entstanden. Das bedeutet, dass es ursprünglich einen kammermusikalischen Aspekt in der Vertonung der Wesendonck-Gedichte gab. Das wirkt wie ein perfekter Kontrapunkt zum orchestralen, sängerischen und bühnentechnischen Gigantismus, der gelegentlich in seinen Opern zu finden ist. Auch hier vermute ich eine Huldigung Wagners an die Intimität zu seiner Muse. Das Lied ist ein Symbol für die Intimität zwischen Sing- und Begleitpersonal. War die ursprüngliche Fassung für „Frauenstimme und Klavier“ also möglicherweise noch eine weitere Liebeserklärung?
Franck-Thomas Link
Im Gedicht „Alte Liebe“ beschreibt Karl August Candidus, wie in ihm eine dunke Erinnerung an eine zerflossene Liebe entsteht: „Es ist, als ob mir leise wer auf die Schulter schlug, als ob ich säuslen hörte, es klopft an meiner Türe, und ist doch niemeand draus, ich atme Jasmindüfte und habe keinen Strauß“. Faszinierend an diesem Gedicht ist, dass es Candius eindrucksvoll gelingt, die schwermütige Erinnerung an Liebeskummer durch die Beschreibung eines düsteren und beängstigendem Frühlings hervorzurufen: „Es kehrt die dunkle Schwalbe aus fernem Land zurück, an diesem Frühlingsmorgen, so trüb verhangt und warm.“ Meist wird ja der Frühling in der romantischen Literatur als Symbol der frisch Verliebten herangezogen. Diese metaphorische Umdeutung Candidus' ist ein architektonischer Handgriff, der perfekt zur Handschrift von Johannes Brahms passt.
In „Die Mainacht“ geht es einerseits um die Darstellung der Natur im Frühling. Ludwig Hölty lässt den Mond die Welt in silbernes Licht tauchen, ein glückliches Taubenpaar auftreten, die Nachtigall flöten usw. Andererseits ist dieses Gedicht voller Schwermut, denn der Protagonist geht einsam durch diese herrliche Nacht und weint. Nicht ganz hoffnungslos, dass die ersehnte Liebe ihm noch begegnen wird, aber doch verzweifelt fragt er: „Find ich dich auf Erden?“
In „Ach, wende diesen Blick“ werden wir Zeuge einer Begegnung zweier männlicher Leidensgenossen, Daumer und Brahms, in puncto Liebe. Hier geht es allerdings nicht mehr um die Aufforderung, „ja“ oder „nein“ zu sagen. Der liebende Sänger / Sprecher wehrt sich gegen noch mehr Pein: „Mit ewig neuem Harm erfülle nicht!“ ist die Forderung des Verliebten, der seine unglückliche Liebe wie den Biss einer Schlange in sein Herz empfindet.
Daumers Gedicht „Nicht mehr zu dir zu gehen“ gibt Brahms den Boden, in meisterhafter Art absolut hingebungsvolle, wahrscheinlich heimliche Liebe nachzuzeichnen. „Ach rede, sprich ein Wort nur, ein einziges, gib Leben oder Tod mir...“. Man denke über dieser künstlerischen Begegnung zwischen Brahms und Daumer an die nie ausgelebte Liebe zwischen Brahms und Clara Schumann.
In „An eine Äolsharfe“ lässt Eduard Mörike seine Protagonistin mit dem Wind sprechen, der eine Äolsharfe durch seinen Hauch erklingen lässt. Sie vergleicht die Schönheit dieses Klangs und auch den Wind selbst mit einer vergangenen Liebe „Ihr kommet, Winde, fern herüber, ach! Von des Knaben, der mit so lieb war, frisch grünendem Hügel...“. Und auch „ …ein holder Schrei der Harfe, wiederholt mir zu süßem Erschrecken meiner Seele plötzliche Regung...“.
„Meine Liebe ist grün“ ist eine große Huldigung an das stürmische Liebespotential des Komponisten und natürlich des Dichters Felix Schumann, dem Sohn von Clara und Robert. An dieser Stelle wird deutlich, dass großes Liebesleid nur im Falle von leidenschaftlicher Liebesfähigkeit entstehen kann.
Im Lied „Wie bist Du meine Königin“ beschreiben die beiden Autoren die zärtliche Liebe zu der Frau, für die sie bereit sind, durch die Wüste zu gehen“ „Ob auch die herbste Todesqual die Brust durchwüte, wonnevoll. Wie bist Du meine Königin, durch sanfte Güte, wonnevoll, wonnevoll“.
Franck-Thomas Link
kammerkunst.de/1045/