Remigriert euch ins Knie! 💩

Hamburger Kammerkunstverein

Veranstaltungen mit Herz und Hirn.

Hommage à Beethoven

Zu Gast bei der Kempowski Stiftung in Nartum

Benjamin Spillner und Franck-Thomas Link

Haus Kreienhoop, 27404 Nartum


www.kempowski.de


Ludwig van Beethoven,
Klaviersonate Nr. 7 D-Dur op. 10 Nr. 3

Presto
Largo e mesto
Menuetto: Allegro - Trio - Allegro
Rondo: Allegro

Ludwig van Beethoven,
Sonate Nr. 5 für Violine und Klavier F-Dur op. 24, Frühlingssonate

Allegro
Adagio molto espressivo
Scherzo: Allegro molto
Rondo: Allegro ma non troppo

Ludwig van Beethoven,
Sonate Nr. 9 für Violine und Klavier A-Dur op. 47, Kreutzer-Sonate

Adagio sostenuto - Presto
Andante con variazioni
Presto


Die Klaviersonate Nr. 7 D-Dur op. 10 Nr. 3 gehört zu den frühen Sonaten Beethovens und entstand im Jahre 1798. Der erste Satz „Presto“ ist der klanglich und technisch reichste Sonatenhauptsatz, den Beethoven bis dahin geschrieben hatte. Er zeichnet sich durch eine, wie es Reclams Klaviermusik-Führer beschreibt, „wirbelnde Fülle kontrastierender Gestalten und Stimmungen“ aus. Gleichwohl ist dieser Satz mit sehr sparsamen Mitteln konzipiert. Beide Hauptthemen sind aus sehr ähnlichem Material komponiert. Der stürmische Charakter des Satzes, der eigentlich bereits in der Exposition etabliert zu sein scheint, wird in der Durchführung noch weiter getrieben, indem Beethoven sofort die eigentliche Tonart verlässt und nach B-Dur ausbricht. Es wirkt, als hätte sich Beethoven in großer Hast lediglich die Zeit genommen, den Kopf des ersten Hauptthemas mitzunehmen, denn nur der wird in der Durchführung eine Rolle spielen. Das restliche thematische Material taucht erst in der Reprise wieder auf. Über den zweiten Satz „Largo e mesto“ ist es schwer zu schreiben, so eindeutig ist er in seiner musikalischen Komposition. Wie die Vortragsbezeichnung „mesto“ (ital. „traurig“) bereits mitteilt, gilt dieser Satz als einer der finstersten und tragischsten Sätze in Beethovens Klaviermusik. Er habe den Seelenzustand eines Melancholikers schildern wollen, hat Beethoven einmal seinem Schüler Schindler erklärt. Die Schlichtheit und Einfachheit des dritten Satzes, dem Menuett, scheint die tiefe Trauer, von der vorher die Rede war, zu trösten und zu transformieren. Das führt uns direkt in den Finalsatz „Rondo“, der im Gegensatz zum tragischen Zentrum des Werkes äußerst fröhlich und und voller Esprit und Einfallsreichtum diese herrliche Klaviersonate zu Ende führt.

Franck-Thomas Link


Ähnlich wie an der fünften und sechsten Symphonie (Schicksalssymphonie und Pastorale) arbeitete Beethoven an der a-moll Sonate op. 23 und an der F-Dur Sonate op. 24, der Frühlings-Sonate, gleichzeitig. Die ungleichen Schwesterwerke sind in ihrem Ausdruck grundverschieden und von geradezu gegensätzlichem Charakter.

Ursprünglich hatte Beethoven beide Sonaten in einem Opus in seinem Wiener Erstdruck von 1801 herausgegeben. Es geht höchstwahrscheinlich auf einen Verlagsfehler zurück, dass sie später unter verschiedenen Opuszahlen veröffentlicht wurden. Obwohl nur wenige Jahre nach den Violinsonaten op. 12 komponiert, sind die beiden 1800/1801 entstandenen Sonaten deutliches Zeugnis von größerer Reife und Eigenständigkeit im Vergleich zu den Mozart und vor allem Haydn zugewandten drei früheren Sonaten. Auch die formale und inhaltliche Dimension ist hier größer: Während Beethoven in der düsteren a-moll Sonate (er hat insgesamt nur zwei Violinsonaten in Moll geschrieben) in allen drei Sätzen eine strenge Dreistimmigkeit durchhält und und der Exposition des ersten Satzes eine unerwartet umfangreiche Durchführung nachstellt, sind die äußeren Merkmale der größeren Dimensioniertheit im Vergleich zu op. 12 bei der Frühlings-Sonate zunächst die Viersätzigkeit: Die Viersätzigkeit in dieser Art gab es in anderen Gattungen, wie Symphonien und großen Klaviersonaten schon länger. Dass Beethoven dieses Format in einer „Sonate pour le Pianoforte avec l'accompagnement d'un violon“ (Sonate für Pianoforte mit der Begleitung einer Violine) einsetzt, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Violinsonate ihre Emanzipation als eigenständige Gattung mit der Enststehung der Frühlings-Sonate geschafft hat. Ein weiteres inhaltliches Merkmal für die Entwicklung der Violinsonate an sich ist die bis dato nie da gewesene Ausgewogenheit in Form und Ausdruck. Nicht ohne Grund ist die Frühlings-Sonate eine der prominentesten und meist aufgeführten Beethoven-Violinsonaten.

Auch wenn der Beiname „Frühlings-Sonate“ nicht von Beethoven selbst kommt, hat er sich so weit durchgesetzt, dass er selbst in der für Urtext und historische Genauigkeit berühmten Henle-Edition in Klammern erwähnt ist. Beide der Schwestersonaten sind sehr extrem in ihrem Ausdruck: Geht es in der a-moll Sonate um eine düstere, tiefsinnige und ernste Welt, führt uns die Frühlings-Sonate in eine heitere, phantastisch harmonische und glückliche Welt, in der sogar im Scherzo Raum für völlig unverschleierten Humor ist, was in der anderen Sonate, etwa im „Andante scherzosos più Allegretto“, auf keinen Fall denkbar wäre.

Zwei Jahre vor der Frühlings-Sonate hat Beethoven zwei andere Werke in der selben Tonart, F-Dur, geschrieben; die fröhlich virtuose Klaviersonate op. 10 Nr. 2 und - in diesem Zusammenhang noch wichtiger - die Romanze für Solovioline und Orchester op. 50. An die Freundlichkeit und Schönheit dieser Romanze erinnert man sich leicht und gerne, wenn man den Anfang der Frühlings-Sonate hört.

Vier Jahre nach der Frühlings-Sonate begann Beethoven die Arbeit an der F-Dur Symphonie, der „Pastorale“ op. 68. Die Frühlings-Sonate kann man in diesem Zusammenhang als einen frühen Ausblick auf diese, von der Schönheit der Natur wie berauschten Glückseligkeit, die Beethoven uns mit seiner Pastorale hinterlassen hat, sehen.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht lohnend, sich zu fragen, warum Beethoven sowohl gleichzeitig an den beiden Violin-Sonaten in a-moll und F-Dur als auch gleichzeitig an der Schicksalssymphonie und der Pastoralsymphonie gearbeitet hat. Er beschäftigte sich gleichzeitig mit dunkelster Dramatik und ätherischer Schönheit - beides künstlerisch aber säuberlich von einander getrennt. Man könnte mutmaßen, dass es vielleicht für Beethoven bei der Arbeit ein seelischer Ausgleich gewesen sein könnte. Man könnte aber auch weiter gehen und darüber nachdenken, ob solche extremen Ausdrücke vielleicht nur durch einander bedingt entstehen können. Sicher gibt es noch viele Möglichkeiten, die weniger ergründet sein wollen als vielmehr uns Anlass geben können, weiter nachzusinnen.

Auffällig ist ebenfalls, dass die beiden „trostreichen Werke“ dieser beiden Werkpaare, Frühlings-Sonate und Pastorale, in F-Dur stehen, in ihrem Ausdruck sehr verwandt sind, beide zu den beliebtesten Werken von Beethoven überhaupt gehören und dass beide einen prominenten Beinamen haben.

Franck-Thomas Link


Die Kreutzer-Sonate entstand in den Jahren 1802 und 1803. Sie ist Beethovens berühmteste Sonate für Klavier und Violine und nimmt unter seinen zehn Violinsonaten in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung ein: Das Werk ist weniger kammermusikalisch als vielmehr orchestral angelegt. Auf dem Titelblatt der Originalausgabe steht sogar: „scritta in un stilo molto concertante, quasi come d'un concerto“ („in sehr konzertantem Stile komponiert, wie ein Konzert mit Orchester“). Neue Kompositions- und Spieltechniken, die Beethoven mit der Kreutzer-Sonate eingeführt hat, deuteten weit in die Zukunft. Vor allem hat er die romantischen Violinsonaten mit diesem symphonischen Monument nachhaltig beeinflusst. Reine Spekulation ist freilich, ob Johannes Brahms, César Franck und Gabriel Fauré als Reminiszenz oder rein zufällig jeweils auch eine große Violinsonate in derselben Tonart A-Dur geschrieben haben.

Die Entstehungszeit dieses dreisätzigen Werkes ist von besonderer Bedeutung. Beethovens Karriere stand in ihrer Blüte, er konnte sich vor Kompositionsaufträgen und Konzertauftritten kaum retten. Um die Kreutzer-Sonate besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Werke, die Beethoven zur selben Zeit komponierte. Sie steht in zeitlicher und inhaltlicher Nachbarschaft zur 3. Symphonie, der „Eroica“ op. 55 und zu den Klaviersonaten „Appassionata“ op. 57 und der „Waldsteinsonate“ op. 53. Das wirft vor allem ein besonderes Licht auf die Ecksätze der Kreutzer-Sonate, denn in auch in den drei erwähnten Werken spielt ein virtuos-konzertanter Durchbruch in Beethovens Schaffen eine wesentliche Rolle. Beim zweiten Satz handelt es sich um Variationen über ein ausgesprochen liedhaftes Thema. Auch hier springt die direkte zeitliche Verwandschaft zu Beethovens berühmtestem Lied „Adelaide“ op. 46 ins Auge.

Der erste Satz beginnt mit einer langsamen Introduktion, der ein düster-dramatisches Presto folgt. Dieses steht nicht in der angegebenen Tonart, sondern in a-moll, weshalb Musikwissenschaftler gelegentlich angeregt haben, man solle die Tonart dieser Sonate mit „in a“ angeben, weil nur der Finalsatz in A-Dur steht. In den meisten großen Sonaten und Konzerten wählte Beethoven für den Finalsatz die Rondoform, nicht so in der Kreutzer-Sonate. Hier handelt es sich um einen vollständigen Sonatenhauptsatz, der allerdings durch das immer wiederkehrende Hauptthema nur verschleiert wahrzunehmen ist; man glaubt sich in einem Rondo. Dem Spiel mit solchen Hybridformen begegnet man bei Beethoven immer wieder. Es dient zum einen der Verschleierung, aber auch dem Ziel, bestehende Formen zu durchbrechen und neue zu schaffen. Diesen Satz hatte Beethoven bereits komponiert, als er den Auftrag erhielt, für eines der sogenannten „Augarten-Konzerte“ (die morgens um 8 Uhr begannen!) des aus Polen stammenden, mulattischen Violinisten George Bridgetower eine Sonate für Klavier und Violine zu komponieren. Ursprünglich war dieses Presto als Finalsatz für die A-Dur Sonate op. 30 Nr. 1 gedacht, allerdings stimmten wegen des Umfangs des Prestos die Proportionen zu den Eingangssätzen der 1802 komponierten Sonate aus op. 30 nicht mehr. So wurde er durch einen Variationssatz ersetzt und Beethoven konnte den ursprünglichen Finalsatz für die Kreutzer-Sonate nutzen. Die ersten beiden Sätze entstanden in nur vier Tagen, direkt vor der Uraufführung am 24. Mai 1803, mit George Bridgetower an der Violine und Beethoven selbst am Klavier.

Ursprünglich hatte Beethoven geplant, seine Sonate op. 47 Bridgetower zu widmen, mit dem er die Sonate im selben Jahr noch ein zweites Mal öffentlich spielte, bevor es zwischen beiden zu einem Streit kam. Beethoven stand seit 1798 mit dem französischen Violinvirtuosen Rudolphe Kreutzer in Kontakt und entschied sich dafür, ihm anstelle von Bridgetower das Werk zu widmen. Kreutzer, Meisterschüler Giovanni Battista Viottis, hat die Sonate allerdings selbst nie öffentlich gespielt und nannte sie „une torture pour l'instrument“ („eine Folter für das Instrument“) und „outrageusement inintélligible“(„bodenlos unverständlich“). Zwar war er ein außerordentlich guter Techniker, noch heute sind seine 42 Etüden und Capricen ein wichtiges Unterrichtswerk, allerdings war er die musikalischen Anforderungen, die Beethoven mit seinem neuen konzertanten Stil an den Geiger stellte, keineswegs gewohnt.

Franck-Thomas Link