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Hamburger Kammerkunstverein

Veranstaltungen mit Herz und Hirn.

214. Lunchkonzert in der Handelskammer Hamburg

L. v. Beethoven, Sonate op. 109 E-Dur; C. Debussy, Images II


Handelskammer Hamburg, Adolphsplatz 1, U Bahn Rathaus


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Ludwig van Beethoven,
Sonate für Klavier E-Dur op. 109

Vivace, ma non troppo. Adagio espessivo
Prestissimo
Andante molto cantabile es espressivo

Claude Debussy,
Six Images, Deuxième Livre

IV. Cloches à travers les feuilles. Lent.

V. Et la lune descend sur le temple quit fut. Lent.

VI. Poissons d'or. Animé.


Die Sonate für Klavier E-Dur op. 109 von L. v. Beethoven stammt aus seiner späten Periode, in der er bereits völlig taub war und erschien Ende 1821. Zu den Stücken dieser Periode gehören unter vielem die letzten fünf Klaviersonaten, die 9. Sinfonie, die späten Streichquartette und die Missa Solemnis.

Seine Taubheit führte Beethoven dazu, sich völlig aus dem gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen. Einsame Kuren auf dem Lande, zeitraubende und wenig erfolgreiche ärztliche Behandlungen und eine fehlendes privates Leben vergrößerten seine Einsamkeit. Dieses Rückzugs war Beethoven sich sehr bewusst. Mit seiner Musik und seinen Konzerten als Pianist hatte er großen Erfolg gehabt. Nun entwickelte er die innere Kraft, den Lebensabschnitt, der durch seine Taubheit bestimmt war, dafür zu benutzen, einen ganz neuen Kompositionsstil zu entwickeln. Seine Taubheit, die damit verbundene Einsamkeit und sein inneres Ohr, das durch die Krankheit ungebrochen weiterarbeitete, machten für Beethoven das Klavier und die Musik zum Medium seiner Meditation.

Beethoven hat sich sein ganzes Leben lang immer mit der Form der Sonate beschäftigt. Seine ersten Sonaten konnte er bereits im Alter von 13 Jahren veröffentlichen. Fürt das Klavier hat er insgesamt 32 Sonaten, für Violine und Klavier 10, und für Cello und Klavier 5 Sonaten geschrieben - eine gewaltige Zahl. Dazu kommen noch einige andere Kammermusiken, die Klavierkonzerte und das Violinkonzert, die, ähnlich wie bei Mozart, in den Kopfsätzen erweiterte Sonatenformen darstellen. Kaum jemand war je mit der Form der Sonate so vertraut wie Beethoven. Dadurch ergab sich in seiner letzten, tauben Lebensphase, dass er durch vollkommene Ausnutzung und tiefe Kenntnis dieser Form gewissermaßen über die Konvention der Sonatenhauptsatzform hinauswachsen konnte.

Über der E-Dur-Sonate liegt formal eine Art Schleier, der sich bei näherere Betrachtung nicht als zufälliger Umgang mit der Form erweist, sonders als deren meisterhafte Komprimierung und Erweiterung.

Im Zentrum des Werkes steht der dritte Satz, genauer, das Thema dieses Variationssatzes. Es wird zu Beginn des Satzes mit Wiederholungen vorgestellt. Das erste Thema ist eine herrliche, sehr verinnerlichte Melodie, die aus einer ähnlichen Sphäre stammt wie der langsame Satz des c-moll-Klavierkonzerts, ist beinahe wie ein choralariger Streichersatz gesetzt. Die Wiederholungen beider Teile dieses Choralsbekommen im Verlauf der Variationen immer größere Bedeutung. Eigentlich sind es nur 6 Variationen, z. T. jedoch Doppelvariationen. Beethoven nutzt die Wiederholungen aus, um die Verdichtung und Dramatisierung des Adagio-Themas immer weiter und mächtiger voranzutreiben. Er beleuchtet das Thema von allen Seiten, indem er Tempo und Dynamik nutzt, bis er das ursprünglich so schlichte Thema praktisch demontiert hat und es sich kurz vor Ende des Satzes nach einem dramatischen Fugato in Trillern, Läufen und Arpeggien aufzulösen scheint. Die Musik scheint zu explodieren, ein weiteres Fortkommen unmöglich. Da leuchtet plötzlich das Thema in seiner ursprünglichen Einfachkeit wieder auf, dieses Mal ohne Wiederholungen, ohne Frage, ohne Antwort.

Schon der Anfang der Sonate ist irreführend. Sie beginnt mit einem Vivace, das allerdings von einem frei improvisiert wirkenden Adagio unterbrochen wird. Man glaubt für einen kurzen Moment, sich in einer Fantasie im Stile CPE Bachs oder Mozarts zu befinden. Tatsächlich aber ist dieser Satz ein echter Sonatensatz, das Vivace stellt die erste, das Adagio die zweite Themengruppe dar.

Eine andere Art von Verschleierung findet auch im zweiten Satz. Dort steht ein Prestissimo statt des üblichen langsamen Satzes. Man glaubt sich in den Kopfsatz einer großen e-moll-Sonate versetzt, der erste Satz klingt in der Erinnerung plötzlich wie eine Einleitung. Beethoven scheint diese beiden Sätze, die er auch nicht durch den üblichen Doppelstrich voneinander trennte, als Musik geschrieben zu haben, die es ermöglicht, sich für die große innere Reise des dritten Satzes zu öffnen.

Franck-Thomas Link


Claude Debussy gilt als Hauptvertreter des musikalischen Impressionismus, obwohl er sich gegen diese aus der Malerei entlehnte Bezeichnung zeitlebens gewehrt hat. „Die Dummköpfe nennen es ‚Impressionismus“ – ein Begriff, der so schlecht angewandt ist wie nur irgend möglich!“, wird er zitiert. Debussy wollte mit seiner Musik Stimmungsbilder erschaffen, ein Kompositionsprinzip, das sich in den beiden Bänden der „Images“ besonders gut erfahren lässt. Von der Wirkung seiner „Images“ war der Komponist absolut überzeugt: „Ich glaube, dass diese Stücke […] ihren Platz in der Klavierliteratur einnehmen werden, […] zur Linken Schumanns und zur Rechten Chopins.“

IV. Cloches à travers les feuilles - Glockenklang durchdringt die Blätter

Der Musikkritiker und Schriftsteller Louis Laloy, der Debussy zu diesem und zu dem folgenden „Image“ anregte, teilt mit, dass altem ländlichen Brauch zufolge von Allerheiligen bis Allerseelen die Glocken geläutet wurden, deren Klang sich als zarter akustischer Schleier über die herbstliche Landschaft legte. Debussy vereint hier die Reize des Lichts und das Irisieren der Blätter mit dem Klang der Glocken zu verschiedenen perspektivischen Schichten, die Nähe und Ferne suggerieren, verdichtet zu einem musikalisch-konstruktivistischen Naturgemälde.

V. Et la lune descend sur le temple quit fut - Und der Mond senkt sich über den vergangenen Tempel

Ein antikes, orientalisch geprägtes Bild mit Momenten von Stille und quälend einsamer Entrückung. Dem „Canope“ aus dem zweiten Band der Préludes ähnlich, beschwört es nicht nur die Vision des Monduntergangs über einer Tempelruine, sondern erscheint wie ein fernes Traumbild, als Ahnung der Gegenwart vergangener Kulturen.

VI. Poissons d'or - Goldfische

Angeregt von einer japanischen Lackmalerei. Die musikalische Realität dieses Stückes geht weit über die eher beschaulichen Assoziationen, die der Titel weckt, hinaus und entwickelt sich mehr und mehr zu einer humoristischen Wassermusik, die sich bei aller Strenge ihrer „harmonischen Chemie“ (Debussy) einem ungemein heiter-turbulenten Finale, das den Hörer zu dem Sujet des ersten Images („Reflets dans l'eau“) zurückführt, nicht verschließt.


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